Namensgebung
Heiligenstadt, die schön gelegene Hauptstadt des ehemaligen Fürstentums Eichsfeld, hat eine lange Geschichte. Der Name deutet auf eine Beziehung zur Religion hin. Aufschluss über die Entstehung des Namens gibt die folgende fromme Sage, die bis in die Zeit der Völkerwanderung zurückreicht.
Zu der Zeit, als der Hunnenkönig Attila mit seinen wilden Reiterscharen Europa überrannte, saß auf dem bischöflichen Stuhl zu Mainz der fromme Aureus. Dieser wurde, da Attila sich der Stadt bemächtigte, samt seinem Diakon Justinus ins Gefängnis geworfen. Die Wächter aber, die sich zum Christentum bekehrt hatten, ließen die beiden heimlich frei. Sie flüchteten aus der Stadt und wanderten viele Tage lang in Richtung Norden und Osten.
Als Attila von der Flucht hörte, sandte er sofort einen Offizier und einige Knechte zur Verfolgung aus. Nach langer Suche fanden diese die Flüchtenden in der Nähe des Rusteberges, fesselten sie und versuchten sie mit allen erdenklichen Martern zu zwingen, den Götzen zu opfern. Weil Aureus und Justinus aber standhaft bei ihrem Glauben blieben, schlugen ihnen Attilas Leute schließlich die Köpfe ab und kehrten mit diesen nach Mainz zurück. Die Leiber überließen sie den wilden Tieren zum Fraß.
Ein Diener der Märtyrer und ein Landmann aus Rustenfelde nahmen die Leiber und begruben sie an einem ruhigen Ort.
Etwa zweihundert Jahre später, die Hunnen waren längst untergegangen, regierte König Dagobert das Frankenreich. Nach langer Regierungszeit wurde er vom Aussatz befallen und so übergab er die Regierung seinem Sohn und reiste mit seiner Frau und einigen Dienern durch das Land, um irgendwo Heilung von seinem Leiden zu finden. Schließlich kam er auch ins Eichsfeld und fand einen einsamen Ort, der die „Alte Burg“ genannt wurde. Weil der König schon keine Hoffnung mehr hatte, wollte er sich an dieser abgeschiedenen Stelle niederlassen, um sich vor den Blicken der Menschen zu verbergen. Er ließ sich ein Haus bauen und eine Kapelle errichten.
Die ganze Umgebung war mit dichtem Wald bestanden, in dem es viel Wild gab, und so suchte der unglückliche König häufig Ablenkung von dem Gedanken an sein fruchtbares Leiden, in dem er auf die Jagd ging. Eines Tages kam er dabei an einen höchst anmutigen, blumenreichen und wohlriechenden Ort. Hier legte er sich ins Gras und schlief bald ein.
Als er nach längerer Zeit wieder aufwachte, war das Gras um ihn herum vom Tau ganz feucht. Zu seinem großen Erstaunen war seine Hand, die vom Tau befeuchtet worden war, und die Stirn, die er mit der benässten Hand berührt hatte, vom Aussatz befreit. Freudig eilte er zu seiner Frau und erzählte ihr, was geschehen war. Sie drängte ihn, noch einmal an den wunderbaren Ort zurückzukehren und sich mit dem ganzen Körper in das feuchte Gras zu legen. Er befolgte diesen Rat und war sofort vollständig geheilt. Erstaunt über dieses Wunder rief der König aus: „Wahrlich, entweder ruhen hier Heilige, oder diese Stätte ist heilig. Ich befehle, dass sie in Zukunft Heilige Statt (Stätte) heißt!“
Der König kehrte mit seiner Frau nun wieder zu seinem Sohn zurück. Als ihm einige Zeit später offenbart wurde, dass an der Stelle, wo er seine Gesundheit wiedergefunden hatte, die Gebeine der Märtyrer Aureus und Justinus lägen, ließ er beide heiligsprechen und befahl, an der Stelle eine Kirche zu bauen. Einen Propst und zwölf Stiftsherren bestimmte er für sie. Kirche und Stift wurden dem Heiligen des Frankenreiches, Bischof Martin von Tours, geweiht.
Bald kam von allen Seiten das Volk herbei und baute in der Nähe eine Stadt, die man, wie der König befohlen hatte, Heiligenstadt nannte.
So ist das Martinsstift zu Heiligenstadt und die Stadt selbst durch den Frankenkönig Dagobert gegründet worden.